Und Herz und Mund und Tat und Leben (UA)

Absurdes Theater frei nach
Beckett, Arrabal, Ionesco & Ghelderode

Stück- und Textfassung von 
Philipp J. Neumann & Mascha Golda

frei nach Samuel Beckets „Warten auf Godot“, Michel de Ghelderodes „Die Ballade vom Großen Makabren“, Fernando Arrabals „Picknick im Felde“, Eugène Ionescos „Die Stühle“ und Jacques Audibertis „Das Schwarze Fest“

Neues Theater Burgau / Kloster Wettenhausen

Auszug aus dem 2. Akt von Und Herz und Mund und Tat und Leben

Pozzo kommt durch das Fenster geklettert. Er trägt einen schwarzen Sack über dem Kopf.

Pozzo (blind)
Hilfe! Her zu mir!

W
Ist er das?

C
Da ist Er!

Zapo (verwundert)
Was geht hier vor?

W
Er ruft um Hilfe.

C
Die Zeit verfließt schon ganz anders. Die Sonne geht unter, der Mond geht auf, und ich gehe weg – von hier! Kniet nieder

Pozzo strauchelt im Fensterrahmen, stürzt in den Raum, strauchelt wieder, pendelt hin und her, stolpert, rutscht, fällt, kommt genau auf C zum Liegen.

Pozzo (blind)
Hilfe!

Zapo
Du bist. (unsicher) Hände hoch!

Pozzo
Erbarmen!

Pozzo steht wieder auf, pendelt wieder hin und her, stolpert, rutscht, fällt, hält sich an Zapo fest, reißt ihn zu Boden.

Pozzo
Erbarmen!

Zapo (immer noch unsicher)
Hände hoch!

W
Ich wusste, dass Er es ist!

W2
Wer?

W
Na Er!

W2
Aber es ist nicht Er!

W
Ist Er nicht? Wer ist es dann?

Pozzo
Ich bins. Ich bins. Helfen Sie mir auf!

W2
Sollen wir ihm beim aufstehen helfen?

Pozzo liegt noch immer auf Zapo. Dieser versucht sich seiner zu entledigen.

Zapo
Kann er nicht aufstehen?

W
Er will aufstehen.

Zapo
Dann soll er auch aufstehen. Was hat er denn nur?

W
Vielleicht hat er uns ein Geschenk mitgebracht?

W2
Ein Blume!

W
Eine Wiege?

W2
Einen Birnbaum?

Zapo
Oder eine Ziege?

W
Ich weiß nicht. Wir fragen ihn, ob er etwas zu essen hat und wenn er uns nichts geben will, lassen wir ihn liegen.

W2
Willst du damit sagen, dass er uns auf Gnade und Barmherzigkeit ausgeliefert ist?

W
Ja!

Zapo (gleichzeitig)
Nein!

W2
Und dass wir an unsere gute Tat Bedingungen knüpfen sollten?

W
Ja!

Zapo (gleichzeitig)
Nein!

W2
Das klingt gar nicht so dumm! 

W
Hauptsache, der Verrückte (meint C) da rappelt sich nicht plötzlich auf. Dann wären wir bedient. 

C spricht, ohne sich zu bewegen. Inzwischen löst sich Zapo von Pozzo, der wieder anfängt, hin und her zu pendeln und schließlich umfällt. Während Wladimir C’s Ausführungen lauscht, versucht Zapo Pozzo zu fangen.

C
Weint, weint, meine Brüder! Die ganze Natur war ein großer Küchengarten, vier Ernten im Jahr und keine Saat. Es gab keine Mageren und keine Kranken, keine Uhren und keine Bücher, keine Schulen und keine Kirchen, keine Kasernen und keine Gefängnisse, keine Richter und keine Galgen; alles hatte seine natürliche Ordnung ohne Zwang.

Zapo (immer wieder mal, weiterhin unsicher)
Hände hoch!

W
Wir wollen unsere Zeit nicht mit unnützen Reden verlieren. Machen wir irgendwas, solange sich die Gelegenheit dazu bietet! Uns braucht man nicht alle Tage! Ehrlich gesagt, braucht man nicht gerade uns. Andere würden die Sache ebenso gut wenn nicht besser machen. Der Ruf, den wir soeben vernahmen, richtet sich vielmehr an die ganze Menschheit. Aber an dieser Stelle und in diesem Augenblick sind WIR die Menschheit, ob es uns passt oder nicht. Wir wollen es ausnützen, ehe es zu spät ist. 

Zapo
In dieser Beziehung bin ich derselben Meinung. ernst Hände hoch!

Pozzo
Hilfe! (mehrmals, auch während C und W sprechen; der Gestus wechselt zwischen einer Bitte um und dem Ruf nach Hilfe)

Zapo hat Pozzo gefangen; C steht auf, er schaut sich um, betrachtet das Seil, das sich von der Tür und um seinen Hals spannt mit fragendem Blick; schaut Pozzo an, unsicher; schaut sein Seil

(Ende des Auszugs)

„Was ist der Sinn des Lebens? […] In einer ungewöhnlichen und deshalb umso bemerkenswerteren Inszenierung hat sich das Neue Theater Burgau an ein absurdes Stück gewagt, das diesen Fragen nachspürt. Der Titel: „Und Herz und Mund und Tat und Leben“. […] Das Ensemble des Neuen Theaters Burgau liefert eine in jeder Hinsicht imponierende Leistung. Vera Hupfauer in der Figur der C ist die fleischgewordene Tragikomödie. Suchend und scheiternd irrt sie über die Bühne, das Lachen bleibt dem bisweilen ratlosen Betrachter im Halse stecken. Marion Wessely und Dörte Trauzeddel geben überzeugend und ausdrucksstark die verlorenen, im Sinn- und Hilflosen gefangenen Individuen. Ein schauspielerisches Naturtalent ist Joshua Hupfauer, der als Pozzo Opfer und Täter in einem ist. Unter der Regie von Philipp J. Neumann ist dem Burgauer Theater eine bühnentechnisch minimalistische, gleichwohl pfiffige und einfallsreiche Inszenierung gelungen.“ 

Günzburger Allgemeine Zeitung, März 2015