Amadeus‘ Klavier (UA)

inderoper von
Stephan König

Libretto von
Philipp J. Neumann

frei nach dem Kinderbuch „Meine Reisen mit Familie Mozart: Ein Klavier erzählt“ von Elisabeth Volkers

Auftragswerk des
Gewandhauses zu Leipzig

Auszug aus dem 1. Akt von Amadeus‘ Klavier

4. Szene

Wolfgang und Vater Mozart sind im Geschäft des berühmten Klavierbauers Johann Andreas Stein und
wollen ein Reise-Clavichord kaufen.
Johann Andreas Stein, der Klavierbauer, flüchtet vor Vater Mozart durch die Räume seines Geschäfts.
Beide sind aufgebracht. Wolfgang steht stumm am Rande und beobachtet die Szenerie.

(beide gesungen)

VATER MOZART
Ich verlasse das Geschäft mit keinem anderen Instrument.

JOHANN ANDREAS STEIN
Nicht dieses! Dieses nicht!

VATER MOZART
Nur dieses!

JOHANN ANDREAS STEIN
Nein, nicht dieses! Dieses nicht!

VATER MOZART
Kein anderes.

JOHANN ANDREAS STEIN
Ich kann es Euch nicht verkaufen. Es ist…

VATER MOZART
…genau das richtige für die Reise und für meinen Sohn.

JOHANN ANDREAS STEIN (entsetzt)
Für ein Kind… einen schmutzigen Bengel, einen sechsjährigen Hosensch…

VATER MOZART
…und meine Tochter.

JOHANN ANDREAS STEIN
Für ein Weibsbild? Niemals…

VATER MOZAR
Seid ihr von Sinnen? Ihr habt’s gebaut, damit es gekauft wird! Und wenn meine Großmutter darauf spielen sollte, es hat Euch nicht zu stören! Ich kaufe es! Mein Angebot ist großzügig!

Beide streitend ab. Wolfgang bleibt mit dem Klavier allein zurück. Langsam geht er auf das Instrument zu und betrachtet es neugierig. Er spielt er eine kurze Tonfolge.

(beide gesprochen)

KLAVIER
Ah, h-Moll. Ich hasse diese Tonart.

WOLFGANG (beiläufig)
Ich auch.
Wolfgang erschrickt, als er sich gewahr wird, dass jemand gesprochen hat. Vorsichtig schaut er sich um. Der Raum ist leer. Dann betrachtet er das Klavier. Langsam umkreist er das Instrument, ohne den Blick abzuwenden. Nach zwei, drei Runden tritt er langsam zur Tatstatur und schlägt erneut eine Tonfolge an.

KLAVIER
G-Dur. Schon besser!
Wolfgang erschrickt von neuem. Er berührt den Rahmen des Instruments. Nichts passiert. Er spielt einen weiteren Akkord.

KLAVIER
Es-Dur. Es-Dur. Es-Dur!

WOLFGANG
Du kannst ja sprechen!

KLAVIER
Das kannst du auch.

WOLFGANG
Natürlich kann ich sprechen. Ich bin ein Mensch. Du aber bist ein Klavier. Du hast keinen Kopf, keine Stimme. Du bist Holz und Metall.

KLAVIER
Holz und Metall. Holz und Metall. Wenn Musik aus mir herauskommt, wundert sich niemand. Alle freuen sich, staunen über den Pianisten, sind gerührt vom schönen Klang. Dem Klang meines Körpers, meines Körpers. Mache ich aber den Mund auf…

WOLFGANG
Du hast einen Mund?

KLAVIER
Sei nicht töricht! Natürlich habe ich keinen Mund. Ein Klavier hat doch keinen Mund.

Wolfgang schweigt und entfernt sich ein paar Schritte. Dann geht er zurück zum Klavier und spielt verschiedene, kompliziertere Tonfolgen: Quartsextakkorde. Dominantseptakkorde mit Quartvorhalt etc. Das Klavier reagiert sofort und benennt alle richtig. Immer schneller wechselt Wolfgang die Akkorde, und immer schneller antwortet das Klavier. Zuletzt einen Halbverminderten Mollseptakkord auf f.

KLAVIER
Wie heißt du?

WOLFGANG
Wolfgang Amadé Mozart!

KLAVIER (für sich)
Aha, Amadé… Amadeus…

WOLFGANG (aufgeregt)
Was habe ich gespielt? Nun sag schon!

KLAVIER
Halbverminderter Mollseptakkord auf f. Willst du mich auf die Probe stellen?

Wolfgang schlägt wütend den Klavierdeckel zu.

KLAVIER
Au! Nur weil der kleine Herr Amadeus es versteht, mehr als nur Dreiklänge aus mir hervor zu zaubern, muss er mir doch nicht weh tun!

WOLFGANG
Verzeih’ bitte.

Vater Mozart und Johann Andreas Stein treten wieder auf. Der Streit ist beendet, beide sind zufrieden.

Vater Mozart hält einen Vertrag in den Händen.

(beide gesungen)

VATER
So sind wir uns einig. Das Papier regelt die Dinge.

JOHANN ANDREAS STEIN
Ich bin’s zufrieden. Das Clavichord gehört nun Euch.

WOLFGANG (gesprochen)
Vater, das Klavier…

JOHANN ANDREAS STEIN
Gebt acht auf Reisen und pflegt es wohl!

WOLFGANG (gesprochen)
Vater…

JOHANN ANDREAS STEIN
Und dass die Kinder nur in Eurer Gegenwart das Instrument bespielen!

WOLFGANG (gesprochen)
Vater, das Klavier spricht!
Pause. Vater Mozart und Johann Andreas Stein schauen Wolfgang fassungslos an.

JOHANN ANDREAS STEIN (gesprochen)
Wie bitte?

WOLFGANG (gesprochen)
Das Klavier, es kann sprechen.

JOHANN ANDREAS STEIN (aufgebracht)
Ein Klavier kann nicht sprechen, du törichter Junge!

WOLFGANG
Ich habe es aber gehört. Es sprach zu mir.

JOHANN ANDREAS STEIN
Das Kind ist im Wahn! Gebt den Vertrag zurück, niemals darf der Bengel diese Tasten schlagen!

WOLFGANG
Vater, glaubt mir!

JOHANN ANDREAS STEIN
So gebt mir doch den Vertrag zurück!

VATER MOZART (zu Wolfgang)
Kein Wort, Wolferl!

(zu Johann Andreas Stein)

Der Vertrag hat Gültigkeit. Das Instrument wechselt den Besitzer. Lasst es umgehend in den Gasthof bringen.

Vater Mozart nimmt Wolfgang bei der Hand. Beide ab. Johann Andreas Stein mürrisch zur anderen Seite ab.

(Ende des Auszugs)

„Eine überzeugende Inszenierung für ein wunderbar vielschichtiges Werk, dem der Weg auf viele Bühnen zu wünschen ist“

Leipziger Volkszeitung, Juni 2006

„Mit der Uraufführung von ‚Amadeus’ Klavier‘ hat der GewandhausKinderchor zweifelsohne Leipziger Musikgeschichte geschrieben…“ 

Leipzig Almanach, Juni 2006

„Philipp Neumann schuf […] das abwechslungsreiche Libretto und führte Regie. […] In 25 Szenen entsteht ein interessantes Bild von den bis London führenden, ebenso anregenden wie strapaziösen Reisen der Familie mit den Wunderkindern Wolfgang Amadeus und Nannerl.“ 

Leipzigs Neue, Juni 2006